Foto: Erhard Nötzel Foto: Almuth BölitzFoto: Erhard Nötzel Homepage
Bremen, 1989 - Jahrelang hatten wir auf der Werft der AG Weser und im sozialen Feld der Werftarbeiter fotografiert - bis zur Besetzung und Schließung der Werft. Danach suchte die Projektgruppe "AG Weser" ein neues Arbeitsfeld in einem Betrieb. Nach langem Hin und Her - schließlich brauchten wir sogar noch die Fotografiergenehmigung des Gesundheitssenators - wurde das Projekt im Zentralkrankenhaus St.Jürgen-Straße begonnen, mit Unterstützung des dortigen Personalrats und der ÖTV-KollegInnen.

Es handelt sich hier um das größte Bremer Krankenhaus und den vermutlich größten Klinikkomplex zwischen Hamburg und dem niederländischen Groningen. Fotografen haben sich bislang noch nie darum gekümmert.

Zielvorstellung der Projektgruppe war, auf keinen Fall eine fotografische Fassung der TV-Serie "Schwarzwaldklinik" zu liefern, sondern auf das alltägliche Arbeitsleben der dort tätigen KollegInnen einzugehen. Dementsprechend haben wir in drei Bereichen fotografiert: einer Station, der Wäscherei/Näherei und der Küche mit den diversen Unterabteilungen wie Lager, Bäckerei, Konditorei, Metzgerei. Dabei haben wir besonders darauf geachtet, die Belastungen der KollegInnen ins Bild zu setzen: Schicht- und Nachtarbeit, Arbeitshetze, körperlich schwere und gefährliche Arbeit.

Bevor wir in einem Bereich anfingen zu fotografieren, haben wir uns lange und intensiv mit den jeweiligen KollegInnen dort unterhalten, um zu wissen, wo die "Knackpunkte" liegen (man sieht nur, was man weiß!). Wir haben alle vergrößerten Fotos mit den Fotografierten durchgesprochen, in der Küche und Wäscherei eine Ausstellung von je 70 Fotos aufgehängt. Beide haben dort eine sehr positive Resonanz gefunden.

Wir haben als FotografInnen gelernt, daß es im angeblich so untätigen öffentlichen Dienst auch hart zugehen kann. An einigen Arbeitsplätzen fiel uns nur noch das Wort "Maloche" ein, obwohl es sich um Frauenarbeitsplätze handelte (mit niedrigem Lohn: "Leichtlohngruppe"/"leichte" Arbeit).

Wir konnten gezielt einen Rationalisierungsprozeß fotografieren. Dieser ist hier in der Kürze des Artikels mit seinem Ablauf und Folgen nicht darstellbar. Das wird dem Buch vorbehalten bleiben, das wir zusammen mit dem Personalrat und der Gewerkschaft ÖTV herausgeben wollen.

Die Gedanken an die Welt, die wir dort fotografierten, verdrängen oft diejenigen, die in solchen Verhältnissen arbeiten, und diejenigen, die dort nicht arbeiten, lassen sie oft nicht an sich herankommen. Trotzdem oder besser deswegen müssen solche Aufnahmen gemacht werden. Zwar bekommen wir in keinem bürgerlichen Wettbewerb oder einer Ausstellung dafür einen Preis. Aber es sind für die Auseinandersetzung um die Arbeitswelt heute wertvolle Dokumente und lebendige Zeitzeugnisse für die künftige Sozialgeschichtsschreibung.

Text aus Arbeiterfotografie Heft 66